Bis 1908 war Frauen in Preußen die
Mitgliedschaft in einem Verein verboten, wo politische Gegenstände erörtert
wurden. Und bis 1919 hatten die Frauen in Deutschland kein Wahlrecht. Vor
diesem Hintergrund war jede politische Betätigung von Frauen eigentlich
unmöglich. Über diese Rechtlosigkeit waren Frauen wie Johanna Löwenherz nicht
gerade begeistert. Sie versuchten, das Unmögliche zu wagen und nahmen dabei
eine Vorreiterrolle in der Gesellschaft ein. Dies bedeutete nichts anderes, als
dass sie nicht nur in der Minderheit waren, sondern auch an vielen Fronten
zugleich kämpfen mussten. Dabei wurden ihnen viele Knüppel in den Weg gelegt.
In
ihrem Bemühen für gleiche Rechte der Frauen setzte Johanna Loewenherz ihre
Hoffnungen auf die Sozialdemokratische Partei, die als einzige politische Kraft
die Gleichberechtigung der Frauen zu ihrem Programm gemacht hatte. 1893 trat
Johanna Loewenherz in die SPD ein. Als sie von ihrem längeren Berliner
Aufenthalt nach Neuwied zurückkehrte, fand sie schnell Anschluss bei den
dortigen Sozialdemokraten. Johanna Loewenherz wurde im September 1894 mit
großer Mehrheit zur „Vertrauensperson“ gewählt, um sich für die politische
Bewusstseinsbildung bei den Frauen einzusetzen und für deren bessere
Organisation untereinander zu sorgen. Gleichzeitig wurde sie als Delegierte zum
SPD-Parteitag in Frankfurt entsandt. Dort brachte sie eine Resolution ein, um
die Frauenagitation stärker zu fördern. Unterstützung erhielt Johanna
Loewenherz von allen anderen anwesenden Frauen, darunter Clara Zetkin, wie auch
von den männlichen Genossen Wilhelm Liebknecht und August Bebel.
Mit
großem Elan und mit viel Erfolg hatte sich Johanna Loewenherz auf die
politische Bühne begeben. Mit dem gleichen Eifer stürzte sie sich in die
politische Überzeugungsarbeit beim Neuwieder Arbeiter-Bildungsverein. Doch
nicht nur in Neuwied hinterließ sie deutliche Spuren. Im Dezember 1894 trat sie
ihre erste Agitationsreise als Rednerin im Ruhrgebiet an. Hier stieß sie
erstmals auf beträchtliche Hindernisse, die damals den politisch aktiven Frauen
in den Weg gelegt wurden. Einige ihrer Versammlungen wurden von der Polizei
aufgelöst, da keine Frauen bei politischen Veranstaltungen anwesend sein durften.
Doch solche Widerstände spornten die Frauen erst recht an und an vielen Orten wurden Bildungsvereine
gegründet. Eine weitere Agitationsreise unternahm Johanna Loewenherz im
November 1895 nach Thüringen, wo sie ungehindert auftreten konnte. Denn hier
galt das strenge preußische Versammlungsrecht nicht.
In
Preußen hingegen wurden die Sozialdemokraten auch nach der Aufhebung des
Sozialistengesetzes 1890 weiterhin lückenlos von der Polizei überwacht. Mit
allen Schikanen versuchte sie, deren Aktivität zu unterbinden. Den
Polizeiberichten verdanken wir dieses Wissen über die politische Tätigkeit der
Johanna Loewenherz. So wurde im März 1895 der Neuwieder Volksbildungsverein
wegen seiner weiblichen Mitglieder polizeilich verboten. Johanna Loewenherz musste
sich sogar als dessen Mitglied vor Gericht
verantworten. Sie wurde zu 60 Mark Geldstrafe oder 12 Tagen Gefängnis
verurteilt. Trotzdem ging die politische Arbeit weiter: sogar Clara Zetkin
sprach in Neuwied.
Während
dieser Zeit wurde Johanna Loewenherz als Delegierte auch weiterhin auf
SPD-Parteitage entsandt. Leider hielt die Geschlossenheit unter den Frauen dort
nicht lange vor. Ein Richtungsstreit entbrannte auf dem SPD-Gesamtparteitag in
Gotha 1896 über die Frage der Zusammenarbeit mit der bürgerlichen
Frauenbewegung. Während Johanna Loewenherz viele Gemeinsamkeiten mit diesen
Frauenrechtlerinnen sah, gehörten sie für Clara Zetkin und ihre Anhängerinnen
zur Klasse der Besitzenden und der Ausbeuter, die man bekämpfte. Bei der
hitzigen Debatte wurde Johanna Loewenherz hart angegriffen und sogar persönlich
verunglimpft. Aus dem innerparteilichen Flügelkampf ging Clara Zetkin eindeutig
als Siegerin hervor.
Zuerst
ließ sich Johanna Loewenherz nicht von Clara Zetkin einschüchtern. In einem
1897 erschienenen Artikel für die Sozialistischen Monatshefte über die
Zusammenarbeit zwischen sozialdemokratischen und bürgerlichen Frauen
widersprach sie Clara Zetkin mit deutlichen Worten. Ein Sozialismus ohne
vollständige rechtliche wie wirtschaftliche Gleichberechtigung sei nicht
möglich: „Gibt es also keinen Sozialismus für die Frau, gibt es auch keinen für
den Mann.“ Die Frauen könnten nicht bis zum Sieg des Proletariats warten. „Ja,
wenn die soziale Frage einmal über hundert Jahre ganz gelöst sein wird, dann
ist auch die Frauenfrage gelöst, inzwischen aber tun wir gut daran, für unseren
Teil zu sorgen, dass derjenige Teil der sozialen Frage, der Frauenfrage heißt, zunächst
gelöst werde.“ Und dazu sei eine Zusammenarbeit mit der bürgerlichen
Frauenbewegung notwendig.
Zu
Beginn des Jahres 1897 wurde Johanna Loewenherz zweimal durch die Polizei von
Parteiversammlungen ausgeschlossen, im Januar in Essen und im Februar in
Neuwied. Dies war ihr letzter öffentlicher Auftritt, Johanna Löwenherz trat von
der parteipolitischen Bühne ab. Der Tod ihres Vaters am 22. April 1897 mag ein
weiterer Grund für ihr Zurücktreten aus der Öffentlichkeit gewesen sein. Nach
ihrem Rückzug sank die sozialdemokratische Partei in Neuwied in die
Bedeutungslosigkeit herab. Ohne Versammlungslokal, so die Polizei, sei bei den
Sozialdemokraten keine Tätigkeit mehr zu beobachten.
Obwohl
Johanna Loewenherz die aktive Parteipolitik aufgegeben hatte, blieb sie, den
Anzeichen nach weiterhin Sozialdemokratin. Briefe, die sie 1918 aus Rheinbrohl
an den in Köln lebenden Sozialdemokraten Wilhelm Sollmann schrieb, deuten
darauf hin. Zudem berichtete sie Sollmann, dass sie in Rheinbrohl eine
Hausfrauenvereinigung gegründet habe, der bereits 150 Frauen aus der ärmsten
Bevölkerungsschicht angehörten. So deutet alles darauf hin, dass Johanna
Loewenherz sich auch nach dem Ausscheiden aus der aktiven Parteipolitik treu
geblieben ist.
Dr. Hildegard Brog,
Historikerin